Eingereicht von »Rems-Zeitung, Redaktion« am Mittwoch, 02. März 2016
Ein gutes Dutzend an der Geschichte der Unterwäsche interessierter Heubacherinnen und Heubacher (die Damen in deutlicher Überzahl) hatten sich von dem jahreszeitgemäßen Sudelwetter nicht abschrecken lassen und mit der Remsbahn das Haus der Geschichte an der Stuttgarter Kulturmeile erreicht, in dem die wegen großen Zuspruchs (1300 Besucher am Valentinstag!) bis Anfang April verlängerte Präsentation gezeigt wird. Herzlich begrüßt wurden sie dort von einer der Kuratorinnen der Ausstellung und Mitautorin des umfangreichen gedruckten Katalogs, der aus Schwäbisch Gmünd stammenden Kulturwissenschaftlerin Kerstin Hopfensitz M.A. Sie ist in der Rosensteinstadt keine Unbekannte, hat sie doch das in Deutschland einzigartige Miedermuseum im Heubacher Schloss aufgebaut und eingerichtet, das seit Jahren viele Besucher aus Nah und Fern anlockt.
So konnten sich die Besucher/innen in der Landeshauptstadt gleich wie zuhause fühlen, um so mehr, als sie schon am Beginn des Rundgangs auf vertraute Exponate stießen. Eingangs findet man dort zusammen gestellt alle jene Kleidungsstücke, die “Frau” vor dem Zeitalter der modernen Unterwäsche auf dem Leib zu tragen hatte. Zur “Toilette” gehörten nämlich vor 1900 mindestens sieben, im Ganzen zwei bis drei Kilo wiegende Teile, darunter das kniebedeckende Beinkleid, Unterhemd und “Anstandsunterrock”, vor allem aber das unentbehrliche Korsett, von dem mehrere Exemplare aus Heubacher Produktion (Triumph) ausgestellt sind. Dies alles gehörte zur “Aussteuer” einer Frau, die häufigt selbst hergestellt wurde, das ganze Leben halten sollte und der Mode nicht unterworfen war.
Dass dieses alles sich im Zuge der Industrialisierung schnell und nachhaltig änderte, ist Thema der Ausstellung. Am Beispiel der Kollektionen der Firmen Schiesser, Radolfzell, und Benger, Stuttgart, wird gezeigt, wie sich Unterwäsche und Bademoden entwickelten, einerseits durch den technischen Fortschritt in der Textilindustrie, andererseits durch die kulturellen und politischen Veränderungen, die sich in Mode und Körperbewußtsein ausdrückten. Der Anstoß für die technische Innovation, namentlich in Gestalt des Rundwirkstuhls, kam aus Frankreich, das Know-how aus dem Südwesten und der Schweiz. Was heute selbstverständlich ist, etwa die körperanliegende Wäsche, kam bei den Männern schon ab 1860 durch das Militär auf, die Frauen folgten 30 Jahre später. Die Reformbewegung um 1900 benutzte ungebleichte Baumwolle wie heute wieder die “Naturwelle”. Der Stuttgarter Arzt Jäger propagierte kratzende Unterwäsche aus Wolle als besonders gesund, weil sie den Körper frottierte und “unter Dampf” setzte. Schon vor 150 Jahren war die Textilindustrie komplett globalisiert. Die Firma Schiesser, die zu 80 % Baumwolle verwendete, exportierte Fertigware nach Afrika und Asien, um mit dem Erlös Rohstoffe von dort einzukaufen.
Die Lebensreformbewegung der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts verlangte körperliche Bewegung in der freien Natur, was die Bademode vor Probleme stellte: Was war erlaubt? Lange Zeit waren Badeanzüge für Männer und Frauen Pflicht. Seit etwa 1930 wurde der weibliche Körper durch Wäsche erotisch in Szene gesetzt, die neu entwickelten Kunstfasern, die auch Farbe ermöglichten, schufen die Voraussetzungen dafür. In dieser Zeit kommen Schaufensterpuppen auf, vorher lange verpönt, weil man die Haut sieht. Nach dem Zweiten Weltkrieg schlug bei Männern die Todesstunde für lange Unterhosen, was Adenauer zu einem Protestbrief bei Schiesser veranlasste. Ende der 60er Jahre verbrannten Frauen ihre Büstenhalter zum Beweis der neuen Körperfreiheit. Jüngster Trend ist die Annäherung von Ober– und Unterwäsche. Bei Männern ist das Unterhemd vom T-Shirt nicht mehr zu unterscheiden, ähnliche Zeiterscheinungen sind Sportkleidung, die auch in der Freizeit getragen wird, oder Home-Wear. Immer noch geht der Fortschritt weiter: Mikrofasern ermöglichen “Shape-Wear” und High-Tech-Stoffe mit eingebauten Sensoren erlauben die Messung von Temperatur und Blutdruck im Krankenhaus.
Ein besonderer Leckerbissen erwartete die Besucher am Schluss des Rundgangs. Im Seminarraum des Hauses der Geschichte durften die Heubacher Gäste, zur Schonung natürlich nur mit Handschuhen, die zierlichen und wertvollen Gewebe selbst anfassen und aus nächster Nähe bewundern. Die Teilnehmer waren erstaunt über Qualität und Schönheit der Unterwäsche aus frühindustrieller heimischer Produktion, mit der sich insbesondere “Frau” vor über 100 Jahren schmücken konnte. Wie der Beifall bewies, sprach die Vereinsvorsitzende Gabi Leib allen Anwesenden aus dem Herzen, als sie Kerstin Hopfensitz für ihre charmante, witzige und kurzweilige Führung dankte. Bei Kaffee und Kuchen im Museumsrestaurant konnte das Gesehene und Gehörte schließlich noch weiter vertieft werden.